Interview mit Alexander Graf Lambsdorff

"Die Entfernung zwischen Dover und Calais ist durch das Referendum ja nicht größer geworden"

27.10.2016 Pressemeldung KölnLiberal - Zeitschrift für Freie Demokraten in Köln

Herr Graf Lambsdorff, im Juni haben die Briten in einem Referendum mit knappem Ergebnis für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Welche Auswirkungen wird das auch für unsere Region haben? 

Kleinere oder größere Veränderungen werden kaum ausbleiben. Schließlich machen viele deutsche Unternehmen in Großbritannien gute Geschäfte. Deutsche Studierende sind dort an den Unis. Es ist ein attraktiver Urlaubsort. An diesen Schnittstellen wird der Brexit auch bei uns spürbar werden. Dennoch: das
Vereinigte Königreich muss auch in Zukunft ein enger und verlässlicher Partner bleiben. Die Entfernung zwischen Dover und Calais ist durch das Referendum ja nicht größer geworden.

Wird Großbritannien anschließend mit vielen bilateralen Einzelabkommen wohlmöglich besser da stehen als vorher? 

Nein, das glaube ich nicht. Das Fehlen des Binnenmarktes wird für die britische Wirtschaft überwiegend sehr negative Auswirkungen haben. Als mögliches Modell für die Zukunft wäre unter Umständen eine Zollunion der Briten mit der EU vorstellbar, man kann auch über Assoziierungs- oder Freihandelsabkommen reden. Es ist an den Briten, jetzt zu sagen, was sie sich vorstellen. Klar ist aber: Einen Rabatt, eine bevorzugte Behandlung kann Großbritannien nicht erwarten.

In Schottland wird wegen der möglichen negativen Auswirkungen derzeit auch der Austritt aus dem Verbund des Vereinigten Königreiches diskutiert. Könnten die Schotten bei einem Erfolg dann alleine wieder als Mitglied in die EU zurückkehren? 

Das ist vor allem eine innerbritische Frage. Sollten die Schotten sich wirklich für ein zweites Referendum entscheiden und mehrheitlich für die Unabhängigkeit stimmen, könnte das Land nach kurzer Zeit problemlos der Union beitreten – wenn Spanien das nicht blockiert.

Das Parlament in Brüssel zeigte sichin der jüngeren Vergangenheit vor
allem bei der aktuellen Flüchtlingspolitik alles andere als einig. Manche sehen bereits das Ende der EU, so wie wir sie kennen. Ist die europäische Idee tatsächlich zum Scheitern verurteilt? 


Nein, das ist sie ganz sicher nicht. Aber die EU muss endlich beweisen, dass sie das leisten kann, wofür sie geschaffen wurde. Nehmen Sie das Thema Sicherheit: Die nationalen Regierungen ergehen sich in schön klingenden Verkündungen. Aber echte Fortschritte bei einer gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik, dem Antiterrorkampf, der europäischen Grenzsicherung oder der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gibt es nicht. Tatsächlich tut sich die EU gerade an großen strategischen Fragen schwer – aber genau dafür gibt es die Union eigentlich. Und nicht, um Duschköpfe oder Glühbirnen zu vereinheitlichen. In dem Dilemma des Brexit liegt also auch eine Chance – nämlich die Chance, in bestimmten Bereichen Fortschritte zu machen, die wegen der britischen Blockadehaltung bislang nicht möglich waren und bei denen es große Unterstützung in der Bevölkerung gibt.

Eng mit dem Flüch tlingsthema verknüpft ist auch die derz eitige Beziehung Europas zur Türkei. Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung dort, gerade auch in Hinsicht auf die Beitrittsverhandlungen zur EU? 

Es gibt so gut wie niemanden, der noch ernsthaft daran glaubt, dass die Türkei eines Tages der EU beitreten kann. Was wir statt eines Prozesses ins Nirgendwo brauchen, ist eine auf Respekt und Realpolitik basierende positive Agenda. Es gibt so viele Felder, auf denen wir durch gute Zusammenarbeit mit der Türkei viel erreichen können: die Flüchtlingsfrage, Tourismus, Handel, Kultur, Energie oder auch zivilgesellschaftlicher Austausch. Denn Europa und die Türkei sind und bleiben Nachbarn, unsere Schicksale sind auch in schwierigen Zeiten miteinander verwoben. Auch deswegen ist es das oberste Gebot, dass die Regierung Erdogan schleunigst zu Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und demokratischer Regierungsführung zurückkehrt.

Wie beobachtet man in Brüssel den US-Präsidentschaftswahlkampf? Wäre Donald Trump als amerikanischer Präsident eine weitere Herausforderung für Europa? 

Es ist zu befürchten, dass die transatlantischen Beziehungen unter einem Präsidenten Trump nicht einfacher würden. Dennoch sollten wir uns als Europäer mit konkreten Wahlempfehlungen an die Amerikaner zurückhalten. Umgekehrt würde uns das schließlich auch nicht gefallen. Eines ist aber sicher: Die Grand Old Party von Lincoln und Reagan hat sich dramatisch verändert. Es fällt ja auf, dass viele intelligente Republikaner dazu aufrufen, Donald Trump nicht zu wählen, sich teilweise sogar zur Wahl seiner Gegenkandidatin bekennen. 

Im kommenden Jahr gibt es in NRW ein „Super-Wahljahr“, der Landtag und der Bundestag werden neu gewählt. Sie wollen in den Bundestag wechseln. Warum? 

Der Leitbildprozess und der liberale Neustart waren Meilensteine für die Freien Demokraten, die wir alle in der Führung der FDP mit großem Engagement begleitet haben. Ich finde daher es nur recht und billig, mit diesem neuen Angebot vor die Menschen zu reten. Daher möchte ich mich als Teil dieses Teams ebenfalls in Deutschland zur Wahl stellen.


Sie sind ja in Köln geboren. Was verbindet Sie heute mit Köln persönlich am meisten? 

Fastelovend, der Effzeh und natürlich Kölsch!

Als Mitglied und großer Fan des 1. FC Köln: Wo steht unser Verein am Ende dieser Saison? 

Hinter den Bayern und vor Gladbach, vielleicht sogar vor Leverkusen, damit könnte ich in jedem Fall leben. Ansonsten würde ich mir wünschen, dass der Effzeh mit seiner tollen Führungsmannschaft weiterhin eine so positive Entwicklung nimmt wie zuletzt.

Herr Graf Lambsdorff, herzlichen Dank für das Gespräch. 

[Das Gespräch führte Stephan Wieneritsch.]

Wenn man korrekt sein möchte und ihn mit seinem vollständigem Namen vorstellen würde, müsste es Alexander Sebastian Léonce Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff lauten. Als gebürtiger Kölner und gelernter Diplomat sieht er solche Dinge aber gelassen. 

1966 in der Domstadt geboren, wuchs er als Sohn eines Botschafters in Hamburg, Brüssel und Bonn auf. Dort machte er 1985 sein Abitur und absolvierte bei der Bundeswehr eine zweijährige Ausbildung zum Reserveoffizier. Er studierte in Bonn und Washington, schloss zunächst mit einem Master in Neuerer Europäischer Geschichte ab, um im Anschluss noch einen Master der School of Foreign Service der Georgetown University zu erwerben. Nach verschiedenen Praktika absolvierte er 1995 eine Ausbildung zum Diplomaten. Vom Auswärtigen Amt wechselte er als Büroleiter zu Klaus Kinkel in den Bundestag. Er leitete u.a. auch EU-Wahlbeobachtungsmissionen in Kenia, Bangladesch und Guinea. 1987 trat er in die FDP ein, wo er verschiedene Parteiämter auf kommunaler Ebene bekleidete. 2009 und 2014 wurde er ins Europäische Parlament gewählt. Hier amtiert er auch als stellvertretender Parlamentspräsident. Graf Lambsdorff ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Feedback geben