Verzicht auf Stellung von Strafanträgen wegen Beförderungserschleichung seitens der KVB AG

Gemeinsamer Antrag der Fraktionen der Grünen, SPD, Linke, FDP und Volt im Rat der Stadt Köln

07.12.2023 Beschlüsse der Ratsgremien FDP-Fraktion im Rat der Stadt Köln

Beschluss:

Die Vertreter*in der Stadt Köln in der Gesellschafterversammlung der Stadtwerke Köln GmbH (SWK) wird angewiesen, die Geschäftsführung der Stadtwerke Köln GmbH (SWK) auf Grundlage von § 37 Abs. 1 GmbHG anzuweisen, dem Vorstand der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) AG auf der Rechtsgrundlage des Beherrschungsvertrages zwischen der Kölner Stadtwerken GmbH (SWK) und der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) AG vom 25.09.2017 folgende Weisung zu erteilen:

- Die KVB AG stellt ab sofort weder Strafanzeigen noch Strafanträge nach § 265a wegen Beförderungserschleichung.

 

Begründung:

Es ist mit Sicherheit zu erwarten, dass das Fahren ohne gültigen Fahrausweis auf Bundesebene im kommenden Jahr von einem Straftatbestand zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird. Insbesondere Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann setzt sich für eine Entkriminalisierung ein. Die Unterstützung der übrigen Koalitionspartner sowie weiterer Fraktionen gilt als gesichert.

Zum Stichtag 30.06.2022 verbüßten rund 4.400 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe in deutschen Justizvollzugsanstalten, weil die zuvor gegen sie verhängte Geldstrafe nicht gezahlt wurde.[1] In jedem vierten Fall handelt es sich laut einer Recherche von FragDenStaat sowie auch nach einer Studie der Soziologin Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie in Köln um eine Inhaftierung wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis.[2]

Bei § 265a StGB, der dieses Verhalten unter Strafe stellt, handelt es sich um ein sog. relatives Antragsdelikt, sodass Fahren ohne gültigen Fahrausweis in der Regel nur dann strafrechtlich verfolgt wird, wenn die Tat angezeigt bzw. Strafantrag gestellt wird.

Der Rat der Stadt Düsseldorf hat bereits mehrheitlich beschlossen, dass das dortige Verkehrsunternehmen – die Rheinbahn AG - angewiesen werden soll, künftig auf Strafanzeigen wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis zu verzichten (vgl. RAT/249/2023).

Die Inhaftierung von Menschen, die in der Zwischenzeit bis zur Umsetzung der Gesetzesreform aufgrund eines Verstoßes zu einer Geldstrafe verurteilt werden und diese nicht bezahlen können, ist unverhältnismäßig und sollte auch im Kölner Stadtgebiet beendet werden:

 

  1. Klassisches Armutsdelikt

„Die bei Ersatzfreiheitsstrafen zugrundeliegenden Vergehen sind meistens klassische Armutsdelikte“, sagt Bögelein. „Drei Viertel der Betroffenen sind Langzeitarbeitslose, jeder fünfte hat keinen festen Wohnsitz, überdurchschnittlich viele haben eine Suchterkrankung – 15 Prozent sind suizidgefährdet.“ Auch nach den Erfahrungen der Berliner Justiz spielen bei Ersatzfreiheitsstrafen vor allem Obdachlosigkeit, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, psychische Störungen, psychiatrische Erkrankungen oder desolate körperliche Gesundheitszustände eine Rolle.[3]

Vor der Inhaftierung bestehen zwar Möglichkeiten der Ratenzahlung, der gemeinnützigen Arbeit und auch der Pfändung, die laut Bögelein aber vielen Betroffenen gar nicht bewusst sind. Die Betroffenen sind durch die Konfrontation mit den Strafverfolgungsbehörden vielmehr überfordert und ohne Rechtsbeistand nicht in der Lage, entsprechende Anträge zu stellen.

 

  1. Keine wirksame Hilfe für Betroffene im Strafvollzug

Die verhängten Geldstrafen gegen die Betroffenen fallen bezüglich der Tagessätze zumeist sehr gering aus. Ein Tagessatz Geldstrafe wird nach der neuen Gesetzgebung mit jeweils einem halben Tag Ersatzfreiheitsstrafe abgegolten.

Dies bedeutet, dass die Betroffenen sich oft nur für eine kurze Zeit in Haft befinden. Diese Zeit ist weder ausreichend, um ihnen dort die benötigten Hilfen zukommen zu lassen, noch sind Justizvollzugsanstalten in erster Linie darauf ausgerichtet, die diesem Fehlverhalten zugrundeliegenden sozialen und gesundheitlichen Probleme nachhaltig zu lösen.

Vielmehr werden durch die Inhaftierung auch Menschen, die sich bereits in Betreuung oder Behandlung befinden, von diesen für sie wirklich hilfreichen Instrumenten abgeschnitten. Die Kriminalpolitik kann Maßnahmen der Sozialpolitik nicht ersetzen.

 

  1. Belastung der Ermittlungsbehörden, der Justiz und der Strafvollzugsanstalten

Die Verfolgung und Ahndung des Delikts belasten die Ermittlungsbehörden und die Justiz. Die Behörden sind bereits jetzt überlastet. Die dadurch gebundenen Kapazitäten könnten wesentlich sinnvoller für die Ermittlung und Verurteilung von anderen Straftaten eingesetzt werden. Die Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen entlastet werden, um sich auf Dinge zu konzentrieren, für die sie gebraucht werden. Auch die Strafvollzugsanstalten würden durch den Verzicht auf Stellung eines Strafantrages entlastet.

 

  1. Unverhältnismäßig hohe Kosten für Verfahren und Inhaftierung

Die Kosten für die Verfahren und Gefängnisstrafen sind in Relation zu den erschlichenen Leistungen unverhältnismäßig hoch – bei rund 200 Millionen Euro jährlich.[4] Verpflegung, Kleidung und Unterbringung eines Häftlings kosten das Land Nordrhein-Westfalen 191,21 Euro am Tag.[5] Insbesondere in haushaltspolitisch kritischen Zeiten kann das Geld sinnvoller investiert werden.

 

  1. Fahren ohne Fahrschein bleibt nicht folgenlos

Die Betroffenen schulden weiterhin den Kölner Verkehrsbetrieben das sogenannte „erhöhte Beförderungsentgelt“. Es bleibt den Verkehrsbetrieben unbenommen, dieses mit zivilrechtlichen Mitteln gegen Personen, die ohne gültigen Fahrausweis gefahren sind, durchzusetzen.

Nach erwarteter Herabstufung des Straftatbestandes zu einer Ordnungswidrigkeit wird gegen die Betroffenen – anstatt einer Geldstrafe – eine Geldbuße verhängt. Wird diese nicht bezahlt, droht auch hier im äußersten Fall die sogenannte „Erzwingungshaft“. Eine solche wird – im Gegensatz zu einer Geldstrafe – jedoch nur vollstreckt, wenn die Betroffenen tatsächlich in der Lage sind, diese zu bezahlen. Bei nachgewiesener Armut und Zahlungsunfähigkeit ist eine Inhaftierung also ausgeschlossen.

 

  1. Kein finanzieller Schaden für die Kölner Verkehrsbetriebe

Den Kölner Verkehrsbetrieben entsteht kein finanzieller Schaden. Geldstrafen – sollten diese erfolgreich eingetrieben werden können – werden nicht an die Kölner Verkehrsbetriebe gezahlt, sondern an die Staatskasse.

Ein Wegfall der sog. Abschreckungswirkung, also, dass Fahrgäste auf den Kauf eines Fahrausweises in Zukunft verzichten, da keine Strafverfolgung mehr droht, ist kein Argument für die Aufrechterhaltung der bisherigen Praxis. Die Leiterin der Berliner Vollzugseinrichtung Moabit, Frau Anke Stein, weist zurecht darauf hin, dass die Argumentation mit der abschreckenden Wirkung des Strafgesetzbuches an der „Lebenswirklichkeit“ scheitere.[6] Neben grundsätzlichen Zweifeln an dieser Wirkung ist denklogische Voraussetzung dieser Annahme, dass Betroffene die Wahl haben entweder den Ticketpreis zu entrichten oder dies zu unterlassen. Wie bereits dargestellt, ist der ganz überwiegende Großteil der Betroffenen aber überhaupt nicht in der Lage, diese Abwägung zu treffen. Es geht nicht um Zahlungswilligkeit, sondern Zahlungsfähigkeit. Durch die Einführung des Deutschland-Tickets sind Anreize für zahlungsfähige Fahrgäste geschaffen worden, günstig den ÖPNV im Abonnement zu nutzen.

 

  1. Keine Umgehung der bundesrechtlichen Regelung

Der Straftatbestand ist bereits jetzt als Antragsdelikt ausgestaltet. Der Bundesgesetzgeber überlässt also dem/der Geschädigten die Entscheidung, die Straftat strafrechtlich verfolgen zu lassen oder davon abzusehen. Der Antrag steht somit im Einklang mit dem geltenden Recht.

 

[1] Statista, https://de.statista.com/infografik/26348/anzahl-der-menschen-die-in-deutschland-wegen-einer-ersatzfreiheitsstrafe-im-gefaengnis-sitzen/

[2] Frag den Staat, https://fragdenstaat.de/blog/2021/12/03/fahren-ohne-fahrschein/

[3] Statement von Frau Anke Stein, Leiterin JVA Moabit, https://www.justiz.nrw/Gerichte_Behoerden/anschriften/berlin_bruessel/berlin/aktuelle-berichte/monatsbericht_okt_nov_2018.pdf

[4] Statement des Deutschen Anwaltsvereins vom 11.01.2022: https://anwaltverein.de/de/newsroom/fahren-ohne-fahrschein-entkriminalisieren

[5] ZDF-Recherche: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bundesverfassungsgericht-gefaengnis-lohn-verguetung-haeftlinge-100.html#:~:text=Hohe%20Kosten%20für%20den%20Staat&text=Verpflegung%2C%20Kleidung%20und%20Unterbringung%20eines,bei%2034%2C4%20Millionen%20Euro.

[6] https://www.justiz.nrw/Gerichte_Behoerden/anschriften/berlin_bruessel/berlin/aktuelle-berichte/monatsbericht_okt_nov_2018.pdf

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Catherine Schöppen

Catherine Schöppen

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