Interview mit Gerd Buurmann

Artikel aus der KölnLiberal

18.08.2021 Meldung FDP-Kreisverband Köln

Stephan Wieneritsch führt das folgende Interview mit Gerd Buurmann. Gerd Buurmann wurde 1976 in Haren an der Ems geboren und ist bekannt als Autor, Blogger, Moderator, Regisseur und Schauspieler. Im Jahr 1999 kam er zum Studium
nach Köln.
Buurmann ist verheiratet und seit 2011 Mitglied der FDP. Er gehört dem Stadtbezirksverband Innenstadt an.
Im Jahr 2007 gründete er die mittlerweile im ganzen deutschsprachigen Raum bekannte Theaterreihe „Kunst gegen Bares“. Von 2008 bis 2011 war er Leiter des Severins-Burg-Theater.
Nach antisemitischen Angriffen auf jüdische Mitmenschen gründete er 2017 die „Kippa Colonia“, die mit Solidaritätskundgebungen auf dem Roncalliplatz viele Kölnerinnen und Kölner mobilisierte. Seit Jahren moderiert er jährlich den Israel-Tag der Synagogen-Gemeinde Köln. Im Jahr 2013 führte er dort die Uraufführung seines Stückes „Aber nur im Kontingent“ auf.
Gerd Buurmann ist auch als Stadtführer in Köln tätig und gilt als ein profunder Kenner der jüdischen Kulturhistorie in Köln.

 

 

Herr Buurmann, eine persönliche Frage zuerst: Wie geht es Ihnen als Künstler zur Zeit?

Die Bühnenkunst ist wie manch anderer Berufszweig von Corona besonders betroffen. Ich lebe jedoch nach dem Motto: „Nimm, was du hast und flieg' damit!“ Zur Zeit veranstalte ich Aufführungen im Internet und schreibe viel für meinen Blog „Tapfer im Nirgendwo“. Ich fliege somit weiterhin, wenn auch mit weniger Wind unter meinen Flügeln.

Sie sind Begründer der „Kippa Colonia“, arbeiten auch als Stadtführer und gelten als Experte für die jüdische Geschichte. In diesem Jahr gibt es ein besonderes Jubiläum: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Wie wird das in Köln gefeiert?

Die Bezeichnung „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ist etwas irreführend. Deutschland gibt es als Nationalstaat mit einer Verfassung erst seit der Reichsgründung am 1. Januar 1871. Wir haben somit ein weiteres spannendes Jubiläum in diesem Jahr: 150 Jahre Deutschland.

Vor 1871 gab es Deutschland als sprachlichen Vorstellungsraum mit verschiedenen Herrschaftsbereichen, wie dem Heiligen Römischen Reich. In diesem multiethnischen Raum leben Juden länger als kaum eine andere Gemeinschaft. Was wir genau feiern, ist: 1700 Jahre erste schriftliche Erwähnung jüdischen Lebens am Rhein. Am 11. Dezember 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Edikt, wo festgelegt wurde, dass Juden städtische Ämter in der Kurie bekleiden durften.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, Juden gehören zu den ersten Bürgerinnen und Bürgern Kölns. Deshalb lebten sie auch bis ins Jahr 1424 im Herzen der Stadt Köln, neben dem Rathaus. Sie waren schließlich mit die ersten Kölner hier. Im Jahr 1424 beschloss jedoch der Rat der Stadt Köln, alle Juden zu vertreiben. Sie konnten erst über dreihundert Jahre später wieder zurückkehren, nachdem die Franzosen Köln vom Judenhass befreit hatten.

Die Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland ist ja eng mit unserer Stadt verbunden. Was macht Köln diesbezüglich so besonders?

Ohne Juden sähe Köln heute ganz anders aus. Das Christentum ist schließlich aus dem Judentum erwachsen. Ohne Juden gäbe es keine Christen und somit auch keinen Kölner Dom!
Im Jahr 1248 wurde zwar mit dem Bau des Doms begonnen, aber der weitaus größte Teil wurde erst im 19. Jahrhundert fertiggestellt. In jener Zeit wurde nämlich der Kölner Dom zu einem deutschen Nationalmonument verklärt. Das half, dieüber 600-jährige Baustelle endlich fertigzustellen.
Da es im 19. Jahrhundert viele Juden gab, die sich stolz als Deutsche bezeichneten, spendeten auch sie Geld für dieVollendung des Kölner Doms. Zwei Namen müssen dabei besonders hervorgehoben werden, nämlich die beiden Brüder Abraham und Simon Oppenheim. Wenn man den Kölner Dom betritt, befindet sich im Südturm ein Fenster in Erinnerung an die Familie Oppenheim.

Welche Rolle haben die jüdischen Menschen in der Stadtgesellschaft gehabt?

Im Alltag der Kölner haben sich viele Bräuche zwischen Juden und Christen vermengt. Während die Christen zum Beispiel Weihnachten feiern, feiern die Juden Chanukka und essen Latkes, oder wie der Kölner sagt: Rievkooche.
Auch im Karneval haben Juden ihre Spuren hinterlassen. Schon der zweite Rosenmontagszug in der Geschichte Kölns wurde von einem Juden angeführt. Es war im Jahr 1824. Es gab zwar noch kein Dreigestirn, aber dafür Held Carneval. Er führte im Jahr 1823 den Zug an. Im Jahr 1824 führte Prinzessin Venitia den Südzug an. Niemand geringeres als Simon Oppenheim stellte Prinzessin Venetia dar. Held Carneval wiederum war Mitarbeiter bei Farina: Emanuel Zanoli. Er war Sohn einer Einwanderfamilie aus Italien. Somit waren ein Römer und ein Jude die ersten beiden Personen, die den Kölner Karneval angeführt haben. Das ist wunderbar für eine Stadt, die von Römern und Juden aufgebaut wurde.
Im 19. Jahrhundert brachte zur Karnevalszeit ein kleiner jüdischer Köbes die Kölner Jecken zum Singen, Schunkeln und Tanzen. Köbes (Jakob) war der Sohn von Isaak Offenbach, Vorsänger in der Deutzer Synagoge. Später nannte sich Jakob um: Jacques Offenbach. Jeden Abend, kurz vor 18 Uhr, spielt das Glockenspiel am Kölner Bürgerturm eine Melodie von Offenbach. Somit hört die Kölner Stadtgesellschaft auf dem Alter Markt jeden Abend ein Glockenkonzert eines jüdischen Sohnes der Stadt.

Juden sind im Verlauf der Jahrhunderte mit allen Formen von Antisemitismus konfrontiert gewesen. Worauf begründet sich diese andauernde Ablehnung?

Das ist nicht in kurzen Sätzen zu erklären. Für eine ausführlicher Antwort empfehle ich meinen Vortrag „Der Nathan-Komplex“.
Der christliche Judenhass zum Beispiel speist sich vor allem aus einer narzisstischen Kränkung. Für jene Christen, die fest davon überzeugt sind, den einzig, wahren Glauben entdeckt zu haben, stellt jeder Jude eine Beleidigung dar, weil er es wagt, an seinem alten Bund festzuhalten. Für Christen, die glauben, dass es nur innerhalb der Kirche das Heil geben kann, ist jeder Jude ein Affront. Aus einer ähnlichen Überheblichkeit speist sich auch manch ein islamischer Judenhass.
Dann gibt es noch die rassistische Form des Judenhasses, wo der Judenhasser Juden als Volk hasst. Und es gibt den Israelhass, wo Juden als Nation gehasst werden. Das aber sprengt dieses Interview. Ich möchte daher Elie Wiesel zitieren: „Wenn wir den Antisemitismus wirklich besiegen wollen, dann müssen wir bereit sein, auf die dunklen Seiten unseres eigenen Herzens zu schauen.“

Mit dem Bau des Museums MiQua wird ja auch die Hoffnung verbunden, jüdisches Leben wieder sichtbarer und erlebbarer zu machen. Teilen Sie diese Erwartung?

Auf jeden Fall. Mit dem Museum MiQua werden die Kölnerinnen und Kölner erkennen: „Von wegen neu hier, Juden sind schon 2000 Jahre hier!“
Im Jahr 1424 hat der Rat der Stadt Köln die kölschen Juden aus ihrer Heimat vertrieben. Das Viertel der Kölner Juden stand genau dort, wo heute das jüdische Museum entstehen wird. Im MiQua werden Fundamente des jüdischen Viertels zu sehen sein. Das ist einzigartig. Im Museum wird sogar die Mikwe zu bewundern sein. Eine Mikwe ist ein jüdisches Ritualbad und die Mikwe am Kölner Rathaus ist die älteste Mikwe nördlich der Alpen. Neben dem Kölner Dom wird somit das MiQua ein weiteres Aushängeschild der Stadt werden. Und beide gäbe es ohne Juden nicht!

Was ist ihr persönlicher Wunsch für die Zukunft unserer Stadt?

Die Stadt Köln könnte sich noch mehr bewusst machen, dass sie ein Schmelztiegel ist. Dafür müssten sich aber der Rat der Stadt Köln, die Kirche und der Kölner Karneval ehrlich mit ihren historischen Verbrechen auseinandersetzen. Seit der Gründung Kölns lieben Juden ihre Stadt, aber immer wieder wurde diese Liebe nicht erwidert. Dass diese Liebe in Zukunft von Herzen erwidert wird, und zwar nicht nur in Gedenkenstunden, sondern auch im gemeinsamen Feiern, Lachen und Leben ist mein größter Wunsch. Denn umdas Leben geht es ja eigentlich. Wenn Juden trinken, stoßen sie auf das Leben an und sagen: L’Chaim!

Wo ist Ihr Lieblingsplatz in Köln?

Der Platz in einem vollen Theater.

Herr Buurmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

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